Am 25. April 1971 gründeten ein Dutzend Frauen und Männer in Honau bei Reutlingen den „bio gemüse e.V.“ Unter dem Namen Bioland entwickelte sich daraus der größte und populärste Bio-Anbauverband Deutschlands, dem heute zum 50. Geburtstag rund 10.000 Betriebe angehören. In ihren historischen Anfängen hatten die Bioland-Pioniere mit öffentlichem Gegenwind zu kämpfen.
„Es musste verschrumpelt sein“, meint Bioland-Pionier Robert Hartmann mit einem Schmunzeln, während er auf die Bio-Anfänge in Deutschland zurückblickt. Seine heutigen Äpfel hätte er damals nicht verkaufen können, sie wären „zu schön gewesen“. Damit bringt er auf den Punkt, was sich seit der Gründung von Bioland vor 50 Jahren an Grundlagenforschung und Knowhow im ökologischen Landbau getan hat. Obwohl es anfangs „Gegenwind von allen Seiten“ gab, erinnert sich Hartmann.
Idee des biologischen Landbaus entwickelt in der Schweiz
Die Vorgeschichte von Bioland beginnt bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in der Schweiz, wo der Agrarpolitiker Hans Müller die Bauernheimatbewegung gründet. Die dortige Landwirtschaft befindet sich gerade im Umbruch hin zu einem intensiven, chemisch-technischen Anbau, der von der Industrie abhängig ist. Um dem entgegen zu wirken, will Müller mit möglichst geschlossenen Kreisläufen die Existenz der Bauern sichern. Sie sollen nicht mehr auf den Zukauf von Betriebsmitteln angewiesen sein und ihre Produkte unabhängig vermarkten können. Aus dieser Idee heraus entwickelt Müller zusammen mit seiner Frau Maria und dem deutschen Arzt Hans Peter Rusch die Grundlagen des organisch-biologischen Landbaus.
In den 1950er Jahren nehmen aufgeschlossene Bäuerinnen und Bauern aus Süddeutschland Kontakt mit den Schweizer Pionieren auf. Der rege fachliche Austausch bei verschiedenen Treffen gibt neue Impulse. Auch der junge Landwirt Hartmann aus Friedrichshafen am Bodensee nimmt im Januar 1971 bei Müller an einem Einführungskurs für biologischen Landbau teil. Davon tief beeindruckt, stellt er nach seiner Rückkehr den eigenen Familienbetrieb auf Bio um. Kurz darauf gründet ein Dutzend deutscher Pioniere am 25. April 1971 in Honau, rund zehn Kilometer südlich von Reutlingen, den „bio gemüse e.V.“ Zehn Jahre später hat der Vorläufer von Bioland bereits 200 Mitglieder.
Bioland-Konzept: vom Acker bis zum Teller
Seitdem arbeitet der Anbauverband nach dem ganzheitlichen Konzept „vom Acker bis zum Teller“, wie es bei Bioland heißt. Lange bevor es eine EU-weite Regelung für einen gesetzlichen Mindeststandard für Bio-Lebensmittel gibt, etabliert der Verband als erster Richtlinien und Kontrollverfahren. Bioland habe vieles frühzeitig in die Hand genommen, so Bioland-Präsident Jan Plagge. Und: „Das ist noch immer so, denn wir wollen die treibende Kraft in der Landwirtschaft bleiben. Dazu forschen wir auf unseren Höfen, teilen unsere Erfahrungen und entwickeln unsere Richtlinien weiter.“ So trete 2021 die erste umfassende Biodiversitäts-Richtlinie eines Anbauverbandes in Kraft.
Hartmann weiß aus eigener Erfahrung, welche Hürden es in der Anfangszeit zu überwinden galt. In seiner landwirtschaftlichen Ausbildung war nur von Schädlingen und den Herbiziden der Pharma-Industrie die Rede. An der Wand hingen entsprechende BASF-Tafeln. Nützlinge und Bodenleben waren unbekannt oder zumindest nicht Bestandteil des Lehrstoffs. „Die schlimmsten Giftspritzer waren die Obstbauern“, betont Hartmann. Mit seinem Bio-Anbau erntete er später regelrechte Anfeindungen, während um ihn herum DDT und andere krebserregende Stoffe gespritzt wurden.
Eine entscheidende Rolle spielte laut Hartmann auch ein neuer „Star aus Amerika“: der Golden Delicious, benannt nach seiner gelblichen Farbe. Die aus den USA eingeführte Apfelsorte sei besonders Pilz-anfällig und deshalb noch schwerer ohne Herbizide anzubauen. Der schwäbische Bioland-Pionier beherzigte jedoch einen Leitsatz von Hans Müller, wonach ein Bauer die Gesundheit seiner Böden nicht zukaufen, sondern selber produzieren soll. Deshalb ist Hartmann heute stolz darauf, seine Äpfel nie mit Herbiziden gespritzt zu haben. Ebenso, dass er an der Gründung des Beratungsdienstes Ökologischer Obstbau 1989 in Weinsberg mitwirkte: dem ersten Beratungsdienst seiner Art in ganz Europa.
Bioland-Präsident Jan Plagge: „Es geht um die Zukunft unseres Planeten“
Eine stolze Bilanz kann auch Bioland zum 50. Jubiläum ziehen. Wie Studien belegen, ist es heute die bekannteste und anerkannteste Bio-Marke in Deutschland. Bioland habe dazu beigetragen, dass sich biologischer Landbau und ökologische Lebensmittel-Herstellung fest etablierten, sagt Plagge. Sämtliche Betriebe mit Bioland-Siegel wirtschaften durchweg nach den strengen Vorgaben des Verbands, die deutlich über die EU-Öko-Verordnung hinausgehen. Dies betrifft das Tierwohl sowie den Einsatz von Zusatzstoffen und Düngemittel. Mit seiner Arbeit wolle der heute in Mainz ansässige Verband die Menschen zum Umdenken motivieren. „Es geht um nicht weniger als die Zukunft unseres Planeten“, resümiert der Präsident.
Markt mit Bio-Produkten in den 1970ern
Copyright: Bioland
Dieser Beitrag von mir erschien in ähnlicher Form erstmals im Staatsanzeiger für Baden-Württemberg am 9. April 2021 auf Seite 15 unter „Landeskundliche Momente“.