Archäologische Wanderausstellung „Verknüpft und zugenäht!“

Hightech-Textilien aus der Steinzeit

Atmungsaktiv, reißfest, thermoregulierend, wasserabweisend … alles bekannte technische Eigenschaften heutiger Chemiefasern, aus denen Funktionskleidung und Taschen bestehen. Archäologische Funde in der Ausstellung „Verknüpft und zugenäht!“ aber belegen: Schon unsere Vorfahren vor 6000 Jahren stellten textile Objekte aus Naturfasern her, die wasserdicht und strapazierfähig waren.  

Im Fokus der Wanderausstellung „Verknüpft und zugenäht! Gräser, Bast, Rinde – Alleskönner der Steinzeit“ stehen Funde des 4. bis 3. Jahrtausends v. Chr. aus Pfahlbauten in Oberschwaben und am Bodensee. Diese stammen aus der späten Jungsteinzeit und sind seit 2011 Teil des UNESCO-Welterbes. In den vorgeschichtlichen Ufer­- und Moorsiedlungen jedoch haben sich, dank der luftabschließenden Feuchte unter Wasser, Reste von Netzen, Gefäßen, Schnüren und Taschen außergewöhnlich gut erhalten. Sie belegen, dass Hightech-Textilien keine Errungenschaft der Moderne sind.

Wolle etwa, mit ihren wasserabweisenden und thermoregulierenden Eigenschaften, gibt es seit Beginn der Schafzucht vor tausenden Jahren. Sie hat als Kleidungsstoff bis heute überdauert. Allerdings kannten schon die Steinzeitmenschen weitaus mehr funktionale Textilien. Und sie nutzten diese nicht nur, um sich damit zu kleiden und schützen, sondern auch und vor allem für Arbeitsgeräte und Hilfsmittel.

Lindenbast war der Alleskönner

Lindenbast, heute ein wenig genutzter Teil der Rinde, bildete das wichtigste Rohmaterial jungsteinzeitlicher Textilien und überwiegt bei den archäologischen Funden. Je nachdem, wie es verarbeitet wurde, erfüllte das fertige Textil unterschiedliche Funktionen. Es diente zum Verpacken, Tragen, Ziehen, Binden, Umwickeln oder Fallen stellen. Kurz: Es war ein richtiger Alleskönner.

Steinzeitmenschen suchten sich den Baumbast gezielt aus, zumeist Linde, aber auch Eiche oder Fichte. Je nachdem, was für einen bestimmten Zweck am geeignetsten war. Den Bast zu gewinnen, war äußerst kompliziert. Dies konnten Studierende des THEFBO-Projektes (siehe Infokasten unten) im Selbsttest feststellen. „Eine vergessene Kulturtechnik“, so Susanne Rau, Kuratorin Vorgeschichte am Archäologischen Landesmuseum in Konstanz, wo die Wanderausstellung startete.

Vernäht und geflochten: steinzeitliche Behälter

Schnüre aus Bast waren vielfältig einsetzbar. Mit ihnen konnten unsere Vorfahren die Klinge am Stiel eines Beils befestigen oder Werkzeuge damit umwickeln. Ähnlich heutigen Griffbändern bei Tennisschlägern machte die Bastschnur die Werkzeuge griffiger. Auch beim Herstellen von Behältern half die Bastschnur, indem damit glatte und gebogene Rindenstücke miteinander vernäht wurden.

Zum Einsatz kam die Bastschnur ebenfalls, um Körbe oder Siebe in heute noch üblicher Spiralwulst-Technik zu flechten. Die Körbe dienten zur Aufbewahrung oder zum Transport von Waren. Auf dem Rücken getragen, wurde daraus ein früher Rucksack, erläutert Rau in einem Instagram-Video des Museums. Mit den Sieben ließ sich das Korn von den Spelzen trennen oder in Form einer Reuse Fische fangen.

Aus Leinschnur geknüpftes „Einkaufsnetz“

Neben dem Baumbast spielte bei den steinzeitlichen Textilfasern auch Leinfaden eine wichtige Rolle. In der Ausstellung ist der Rest eines Leinenbeutels zu sehen, der sich erhalten hat, weil er verkohlte. Mit Schnüren aus Leinen konnten unsere frühen Vorfahren auch Netze für den Transport oder Fischfang knüpfen. Diese Technik wird heute noch bei der Herstellung von Einkaufsnetzen angewandt, so Rau.

Ein anderes Exponat verweist auf die über 5000 Jahre alte Gletschermumie „Ötzi“ und damit zusammenhängende Funde aus den Pfahlbauten. Jacke und Hose des frühen Alpenwanderers bestanden aus Leder und Fell – beides auch heute noch getragene Naturstoffe. Seine Schuhe aber, wie bei den Bastsandalen aus Allensbach und Sipplingen am Bodensee, basierten auf einem Konstrukt aus Bast. Auch Ötzis Umhang, eine Art Regenmantel, war aus Bast. Wasser perlte daran ab und die Kleidung darunter blieb trocken.

Neolithische Fundstätte Hornstaad-Hörnle

Außerdem schützte der Bastumhang vor Wind und konnte als Unterlage genutzt werden, ergänzt Johanna Banck-Burgess, THEFBO-Projektleiterin beim Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart. Hierzu passt ein Zwirngeflecht aus der neolithischen Siedlung Hornstaad-Hörnle am Seeufer der Höri. Im Nachhinein stellte sich der Fund überraschend als Rest eines Kleidungsstücks heraus, laut der Textilarchäologin vielleicht die ärmellose Weste eines Kindes.

Bei anderen Fundstücken, kegelförmigen Geflechten aus Bast, gehen die Expertenmeinungen auseinander. Für manche handelt es sich dabei um Hüte, wobei Banck-Burgess dies bezweifelt, da der Umfang sehr klein sei. Andere deuten die geflochtenen Kegel als Hauben für Bienen oder Schalen zum Abdecken von Gefäßen. Es bleibt also spannend, wann THEFBO dieses und weitere Rätsel der Archäologie lüftet. 

Forschungsprojekt THEFBO
Die Wanderausstellung „Verknüpft und zugenäht!“ ist Teil des Forschungsprojektes THEFBO. Das Kürzel steht für die kulturhistorische Bedeutung des Textilhandwerks in den prähistorischen Feuchtbodensiedlungen am Bodensee und in Oberschwaben. Mit daran beteiligt sind die Textilarchäologie beim Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart und das Archäologische Landesmuseum Baden-Württemberg in Konstanz. Dem angeschlossen ist das Federseemuseum Bad Buchau, wo die Wanderausstellung seit dem 23. Mai gastiert.

Zur Ausstellung gibt es den zweisprachigen Begleitband „Verknüpft und zugenäht! Bound and Stitched Up !“ auf Deutsch und Englisch, der online kostenfrei als PDF heruntergeladen werden kann.

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Quelle: Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg

Dieser Beitrag von mir erschien in ähnlicher Form erstmals im Staatsanzeiger für Baden-Württemberg am 21. Mai 2021 auf Seite 14 unter „Landeskundliche Momente“.

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