Mit Gebeten gegen den Hagel

Hagelprozessionen bis heute

Überflutete Keller und Straßen, umgestürzte Bäume, zerstörte Ernten und Felder – so sieht es zumeist aus, wenn Unwetter mit großen Hagelkörnern über das Land fegen. Für die finanziellen Verluste entschädigen heute Hagelversicherungen. Früher erhofften sich die Menschen Hilfe durch Gebete und Hagelprozessionen. 

Sommer heißt leider auch häufig Hagelzeit. Fest hat sich etwa das Unwetter vom 23. Juni ins Gedächtnis geprägt, das viele Regionen mit teils heftigem Hagel verwüstete. Starker Regen und Wind, gepaart mit riesigen Hagelkörnern in Tischtennisball-Größe, sorgten für überflutete Keller und Straßen. Manch landwirtschaftlicher Betrieb erlebte existenzielle Ernteverluste. Wie in den Medien berichtet, sei etwa der Mais im Kreis Tübingen vielfach zerstört.

Ernte gegen Hagel versichern

Immerhin: Gegen die finanziellen Folgen von Hagelschäden können sich Landwirte versichern. Die Vereinigte Hagelversicherung rechnet mit einem Schaden von über 20 Millionen Euro durch den Juni-Hagel. In Deutschland entstanden erste Hagelversicherungen schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In jener bäuerlich geprägten Gesellschaft bedrohten Ernteausfälle die Bevölkerung in ihrer Existenz. Nicht selten führten Hagelschäden zu Hungersnot – und zur Einführung von Hagelprozessionen.

Da religiöser Glaube damals noch stärker im Alltag und Denken der Menschen verankert war, erhofften sie sich göttliche Hilfe durch Gebete. „Von Blitz, Hagel und Ungewitter erlöse uns Herr Jesus Christ …“, beginnt ein Wettersegen in einem katholischen Gesangsbuch der Erzdiözese Freiburg von 1935, den Gabriele Wüst entdeckte. Die Amtsrätin im Generallandesarchiv Karlsruhe des Landesarchivs Baden-Württemberg recherchierte zum Thema Hagelfeiertage. Sie wollte ergründen, wieso ein Feiertag, der normalerweise positiv besetzt ist, einem bedrohlichen Wetterphänomen gewidmet war.

Dabei stieß Wüst auf diesen alten Wettersegen, der zumeist von Mai bis September gebetet wurde. Während dieser Monate beeinflusste das Wetter maßgeblich die Ernte. Würde sie ausreichen, um Wintervorrat anzulegen, oder drohte durch Missernte eine Hungernot?

Gelübde nach einem verheerenden Unwetter

Auch im Zeitalter der Aufklärung galten Unwetter noch als Strafen Gottes. Entsprechend entwickelten sich regionale Hagelprozessionen und religiöse Bräuche bis hin zu Hagelfeiertagen. Sie fanden zumeist zwischen Juni und August statt, wenn die Hagelgefahr am größten war, so Wüst. Nicht selten ging ein Hagelfeiertag auf ein feierliches Gelübde zurück, nachdem die Bewohner eines Ortes ein verheerendes Unwetter erlebt hatten. In der Hoffnung, künftig davon verschont zu bleiben.

Allerdings entwickelten die Hagelfeiertage mit der Zeit eine gewisse Eigendynamik. Sie wurden zunehmend als Anlass für Wirtshausbesuche und Tanzfeste genutzt beziehungsweise missbraucht, sodass sie im Laufe des 18. Jahrhunderts bald wieder offiziell abgeschafft oder verlegt wurden. Durch eine schriftliche Quelle fand Wüst den Hinweis auf einen Hagelfeiertag in Staufen im Breisgau am Freitag nach Christi Himmelfahrt, der 1772 mit dem traditionellen Feiertag zusammengelegt wurde. Trotzdem soll sich im Jahr darauf am Freitag nach Himmelfahrt, zur üblichen frühen Wetter-Betstunde um fünf Uhr, eine Gruppe von Bürgern auf eine Prozession nach Kirchhofen begeben haben. Die erwartbare Strafe für ihren Verstoß nahmen sie offenbar in Kauf.  

Menninger Hagelprozession bis heute

Doch selbst solche Verbote seitens der Obrigkeit oder die Hagelversicherung konnten nicht verhindern, dass sich mancherorts Hagelfeiertage und Prozessionen bis heute erhalten haben, wie im heute zur Stadt Meßkirch gehörenden Menningen. Dessen katholische Pfarrgemeinde zelebriert traditionsgemäß eine jährliche Hagelprozession, die auf ein verwüstendes Unwetter vom 24. Juni 1906 zurückgeht. Damals gelobten die Menninger, jedes Jahr vor der Erntezeit eine Bittprozession zum 1907 erstellten Hagelkreuz mit anschließender Eucharistiefeier abzuhalten.

Im Amtsblatt der Stadt Meßkirch vom 21. Juni 2021 erzählt Pfarrer Stefan Schmid hierzu eine Anekdote. Als er noch Vikar war, fragte ihn einmal ein Mann, warum er denn immer den Wettersegen spende. Schmid antwortete: „Damit die Ernte gut wird, damit wir uns an der wohlbehaltenen Natur erfreuen und dass vor allem keine Unwetter kommen wie Sturm und Hagel.“ Darauf sagte der Landwirt zu ihm: „Brauchsch nimme mache, mir hond a guete Hagelversicherung!“ – und beide mussten lachen.

Bild
Beschreibung: Hagelprozession in Ostbevern 1992
Copyright: Overberg – Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0

Dieser Beitrag von mir erschien in ähnlicher Form erstmals im Staatsanzeiger für Baden-Württemberg am 20. August 2021 auf Seite 27 unter „Landeskundliche Momente“.

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